Unsichtbare Frauen – eine Rezension.

Das Buch „Unsichtbare Frauen – wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“ von Caroline Criado-Peres ist 2020 im btb Verlag erschienen. Die Originalversion wurde 2019 auf Englisch veröffentlicht. Das Buch ist inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt.

Übersetzung ins Deutsche von Stefanie Singh.

In diesem Buch geht es um Fakten. Um einen unglaublich großen Berg von Fakten. Und diese Fakten, vorgetragen in sachlich ruhiger Sprache mit ein paar wenigen ironischen Spitzen, tragen atombombenstarken Sprengstoff in sich. Im Grunde ist jeder einzelne Satz ein Skandal, und als Leser in springt man 419 Seiten lang im Viereck. Worum geht es? Criado-Perez zeigt, wie das Fehlen oder das systematische Ignorieren von Daten ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung – die Frauen – ignoriert, was in allen möglichen Lebensbereichen zu folgenschweren Problemen führt.

Frauen reagieren anders oder gar nicht auf Medikamente, sie haben andere Krankheitssymptome, zum Beispiel bei einem Herzinfarkt, und werden deshalb oft falsch oder gar nicht behandelt. Sie kommen bei Autounfällen häufiger ums Leben, weil Crashtest Dummys einen normierten männlichen Körper nachstellen, weibliche Dummys nur auf den Beifahrersitzen getestet werden. Schutzkleidung bei Militär und Polizei passt nicht (Frau hat einen Busen!) und gefährdet so das Leben der Trägerinnen. Bei Naturkatastrophen und Pandemien kommen Frauen häufiger ums Leben. Sogar wie das Schnee räumen in einer Gemeinde organisiert ist, kann Frauen und deren Gesundheit beeinflussen.

Criado-Perez ist es gelungen zu zeigen, dass wir von einer Gleichberechtigung viel weiter entfernt sind, als wir gerne annehmen. Es ist eben nicht damit getan, dass Männer und Frauen gleich viel verdienen oder Väter auch mal in Elternzeit gehen. Das Problem steckt viel tiefer und ist viel systematischer angelegt. Durch die Gender Data Gap (geschlechterspezifische Datenlücke), die sich durch alle Lebensbereiche zieht, werden Frauen benachteiligt oder gefährdet. Kurz gesagt, dass männliche ist die Norm, das weibliche die Abweichung oder, wie Criado-Perez es nennt, die Randerscheinung. Oft werden die notwendigen Daten gar nicht erst erhoben oder die Daten sind nicht nach Geschlechtern getrennt aufgeführt, Frauen werden – weil zu kompliziert – aus Studien ausgeschlossen. Das Resultat ist eine Welt, die von Männern für Männer gemacht ist.

Mich hat das Buch fassungslos und in einem Status von ohnmächtiger Wut zurückgelassen. Mir war immer klar, dass das Problem einer wirklichen Gleichberechtigung nicht gelöst ist. Dass es aber so schlimm ist, das hätte ich nicht gedacht. „Unsichtbare Frauen“ gibt mir tausend gute Gründe, warum Feminismus heute nicht tot ist, ganz im Gegenteil.

Wenn wir nicht aufpassen und schnell ein Umdenken einsetzt, landen wir in einer noch viel diskriminierenderen Welt, in der Algorithmen, die mit auf männlichen Studien basierten Daten gefüttert sind, lebenswichtige Bereiche unseres Lebens mitbestimmen.

„Unsichtbare Frauen“ gehört in die Hand (und ins Hirn) eines/einer jeden Entscheidungsträger*in. Ich wünsche mir, dass dieses Buch der erste Dominostein ist, der uns alle zum Umdenken zwingt und es möglich macht, eine wirklich gleichberechtigte Welt zu formen.

Liebe Frauen, bleibt verdammt nochmal schwierig!, wie Criado-Perez sagt.